Acht Führungskräfte der Otto Fuchs KG betreten die Johannesbad Fachklinik Fredeburg. Sie sind gespannt, vielleicht auch ein wenig unsicher. In den nächsten drei Tagen werden sie sich intensiv mit dem Thema Suchterkrankungen auseinandersetzen – ein Thema, das auch in Unternehmen eine große Rolle spielt, aber in unserer Gesellschaft zugleich weiterhin ein Tabu darstellt. Ziel der Schulung ist es, Anzeichen von Suchtproblemen im eigenen Team zu erkennen, die richtige Ansprache zu erlernen und geeignete Hilfsangebote aufzuzeigen. Doch anstatt nur theoretischen Input zu erhalten, erwartet die Teilnehmer eine eindrückliche Erfahrung: Sie werden den Alltag eines Patienten hautnah miterleben.
Die Otto Fuchs-Gruppe ist ein führendes, international tätiges Unternehmen der Metallindustrie und beliefert Unternehmen der Luft- und Raumfahrt, Auto- und Bauindustrie sowie der Industrietechnik. An ihrem Stammwerk in Meinerzhagen arbeiten circa 2.250 Mitarbeiter. Seit bereits über sieben Jahren unterhält Romy Friederici aus der Johannesbad Fachklinik Fredeburg vertrauensvolle Kontakte zum Unternehmen und organisiert regelmäßig Seminare für die Führungskräfte des Sauerländischen Industriegiganten.
Am ersten Tag werden die Teilnehmer von Friederici aus dem Team der Öffentlichkeitsarbeit der Klinik begrüßt und erhalten einen Einblick in die Abläufe der Klinik sowie die Zusammenarbeit mit externen Suchtberatungsstellen. Doch erst am zweiten Tag, als jeder Teilnehmer einem Patienten als Paten zugeteilt wird, beginnt der wahre Perspektivwechsel. Sie begleiten ihre Paten durch den gesamten Tagesablauf, nehmen an Therapiesitzungen teil und erfahren aus erster Hand, was es bedeutet, mit einer Abhängigkeitserkrankung zu leben.
Die Eindrücke sind vielfältig und bewegend. Für Sebastian Janus, der in der Personalabteilung von der Otto Fuchs KG tätig ist, wird insbesondere das Thema Co-Abhängigkeit zu einer zentralen Erkenntnis: "Obwohl Familienangehörige oft helfen wollen, verstärken sie in vielen Fällen unbewusst die Suchtproblematik indem sie daran Mitwirken, dass die Sucht verborgen wird anstatt sie anzugehen", stellt er fest. Zudem fällt ihm auf, dass viele Patienten von ihrer Angst berichten, nach der geschützten Umgebung der Klinik wieder mit den Auslösern ihres Suchtverhaltens konfrontiert zu werden.
Auch Philipp Jungermann zeigt sich tief beeindruckt. "Was mich besonders nachdenklich gestimmt hat, ist die Tatsache, dass Sucht wirklich jeden treffen kann – unabhängig von sozialem oder beruflichem Status", resümiert er. Eine ähnliche Erkenntnis hat auch Kevin Oelschläger, der eingesteht, dass er zuvor ein sehr stereotypes Bild von Alkoholabhängigkeit hatte: "Man sieht den Menschen ihre Krankheit oft nicht an. Ich habe gelernt, dass problematisches Trinkverhalten oft viel früher beginnt, als man es wahrnimmt."
Neben den tiefgehenden Gesprächen mit den Patienten nimmt die Gruppe wertvolle Hinweise für ihre Rolle als Führungskräfte mit. Marvin Bkric schildert, wie ihn besonders die Rückmeldungen der Patienten beschäftigen: "Viele wünschten sich von ihren Vorgesetzten früheres Eingreifen. Nicht mit Strenge allein, sondern mit einem klaren Signal, dass Hilfe angeboten wird und die eigene Leistung geschätzt wird. Gleichzeitig müsse aber auch aufgezeigt werden, welche Konsequenzen eine unbehandelte Suchterkrankung mit sich bringt."
Am dritten und letzten Tag verbindet Heinz-Willi Lahme, ein erfahrener Sozialarbeiter und ehemaliger Therapeut der Klinik, die Erfahrungen der Teilnehmer mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Besonders die Auseinandersetzung mit Co-Abhängigkeit, die Rolle des sozialen Umfelds und die psychologischen Mechanismen hinter Suchtverhalten werden intensiv diskutiert. Lahme betont: "Der unmittelbare Kontakt mit Suchtkranken öffnet den Blick für die Krankheit auf eine Weise, die keine Theorie leisten kann."
In der abschließenden Reflexion wird deutlich, dass das Seminar weit mehr als eine reine Schulung war. Es hinterlässt bleibende Spuren und verändert Einstellungen nachhaltig. Einige Teilnehmer regen an, den theoretischen Teil an den Anfang zu stellen, um die Eindrücke des zweiten Tages noch gezielter verarbeiten zu können. Die Erkenntnis, dass frühe Intervention im beruflichen Umfeld entscheidend sein kann, wird als ein zentraler Mehrwert für die Führungsarbeit erkannt.
Das Seminar zeigt eindrucksvoll: Sensibilisierung für Suchterkrankungen ist nicht nur ein Thema für das Gesundheitswesen, sondern ein essenzieller Bestandteil moderner Unternehmensführung. Wie Lahme es zusammenfasst: "Ein stabiler Arbeitsplatz kann ein entscheidender Schutzfaktor gegen Sucht sein."