Das war der 73. Further Fortbildungstag

Fachtagung zum Thema "Teilhabe am Sozialen Leben: Zwischen Stigmatisierung und Integration"

Etwa einhundert Fachkräfte aus dem Suchthilfebereich folgten am Mittwoch der Einladung der Johannesbad Fachklinik Furth im Wald zum 73. Further Fortbildungstag, um sich darüber auszutauschen, wie man der Stigmatisierung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen entgegentreten kann. Chefärztin Oksana Stotland stellte unter dem Titel „Teilhabe am sozialen Leben: Zwischen Stigmatisierung und Integration“ ein Programm zusammen, das neben Fachvorträgen auch Raum für Austausch und Vernetzung ließ. Eine bewusste Entscheidung, wie sie in ihrer Begrüßung klarstellte: „Das Thema Stigmatisierung verlangt nicht nur fachliches Know-how, sondern auch gemeinsame Anstrengungen und eine Haltung der Offenheit, des Respekts und der Empathie.“

Perspektiven aus Wissenschaft, Praxis und Erfahrung

Als Diskussionsgrundlage bot die Fachtagung drei Fachvorträge, die sich dem Thema Stigmatisierung aus unterschiedlichen Richtungen annäherten. Den Einstieg machte Prof. Dr. Reinhart Schüppel, der das Thema „Anders sein“ in den Mittelpunkt rückte. „Verschiedenheit kann nur vor dem Hintergrund einer großen Ähnlichkeit geschehen“, so Schüppel. Menschen, die Stigmatisierungserfahrungen machen, würden oft auf genau diese Abweichungen von der Normalität reduziert. Als wichtigen Beitrag gegen Stigmatisierung sprach er sich stattdessen für einen ganzheitlicheren Blick auf andere Menschen aus.

In die gleiche Stoßrichtung ging der Vortrag von Klaus Nuißl von EX-IN Bayern, einem Verein, der sich u. a. für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen einsetzt. Als Nuißl mit 19 Jahren eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis erlitt, habe er sich zunächst nicht eingestehen können, dass so etwas auch ihm selbst passieren konnte. Diese Selbststigmatisierung, eine „zweite Krankheit“, habe lange verhindert, dass er gesund werden konnte. Geholfen habe am Ende der Austausch mit anderen Betroffenen und seine Arbeit als Genesungsbegleiter: „Was mich gesund gemacht hat, war eine sinnstiftende Aufgabe außerhalb meiner selbst zu haben.“ Für ihn sei es ein großes Geschenk, offen über seine Erfahrungen sprechen zu können, auch weil der transparente Umgang damit ihm das Gefühl gebe, nicht mehr stigmatisiert zu werden.

Im Anschluss an das gemeinsame Mittagessen referierte Sandra Schmid, die Leiterin der frauenspezifischen Therapie in der Fachklinik, zum Thema Stigmatisierung von Frauen mit Substanzkonsumstörungen. Welche Form die Stigmatisierung von betroffenen Frauen annehme, sei untrennbar mit weiblichen Rollenbildern und Lebensbedingungen verbunden, so Schmid: „Wenn eine Frau öffentlich bis zum Rausch trinkt, gilt sie als promiskuitiv und leicht zu haben. Auf der anderen Seite, wenn sie ihr Kind bei der Familie lässt, um sich wegen einer Abhängigkeit in Behandlung zu begeben, hat eine Frau Angst, als schlechte Mutter zu gelten.“ Solche Vorurteile gebe es leider auch im Gesundheitsbereich, wie Schmid monierte: „Fachkräfte im Gesundheitswesen haben gegenüber Menschen mit Substanzkonsumstörungen im Schnitt zwar positivere Einstellungen, trotzdem ist es eine unbeliebte Diagnosegruppe.“ Neben frauenspezifischen Ansätzen auf der therapeutischen Ebene sieht Schmid einen wichtigen Beitrag für die Entstigmatisierungsarbeit auch in der Vernetzung innerhalb des Gesundheits- und Suchthilfewesens. Deshalb freue sie sich auch sehr über das rege Interesse an dem Thema und an der Fachtagung: „Wir müssen miteinander reden, uns vernetzen und Erfahrungen sowie Gelerntes aus unseren jeweiligen Bereichen einbringen“, so die leitende Psychologin.

Gelebter Austausch

Das Tagesprogramm bot dafür den richtigen Rahmen: Chefärztin Oksana Stotland begrüßte interessierte Tagungsgäste zu einer anschließenden Austauschrunde, welche viele wichtige Akteure des regionalen Suchthilfesystems an einen Tisch brachte, um Vorträge, Zusammenarbeit und künftige Herausforderungen zu besprechen. Stotland selbst zog am Ende der Fachtagung ein durchweg positives Fazit: „Wir wollten mit der Fachtagung einen Raum schaffen, der dem Thema Gehör verschafft und in dem wir Lösungen besprechen können, um der Stigmatisierung von Betroffenen mit Expertise und Menschlichkeit entgegenzutreten. Und ich denke, das ist uns gelungen.“