Liebes Fachklinik-Team,
liebe Ehemalige,
liebe aktuelle Rehabilitandinnen und Rehabilitanden,
das Gibacht-Festival 2021 möchte ich nutzen, um das zu tun, was ich bei einem "analogen" Jahrestreffen auch tun würde: ein wenig von meiner Zeit in Furth im Wald und meinem weiteren Werdegang zu erzählen. Dabei geht es mir diesmal insbesondere darum darzulegen, dass die Rehabilitation zwar in erster Linie, aber nicht nur den Weg aus der Abhängigkeit hin zu einem suchtfreien Leben ermöglichen soll. Vielmehr kann sie die Grundlage sein, um künftig gestärkt und gewappnet gegen alle Widrigkeiten des Lebens zu sein.
Mein Aufenthalt in der Fachklinik endete im Dezember 1989. Neben dem Trinken habe ich dabei auch dem Nikotin abschwören können. Das war mir deshalb sehr wichtig, weil Trinken und Rauchen untrennbar miteinander verknüpft waren und ich wusste, dass nach dem Trinken auch das Rauchen nicht mehr zu meinem neuen Leben passen würde.
In den folgenden Jahren ging es mit mir sowohl persönlich als auch materiell stetig bergauf. Ich wurde immer sicherer im Umgang mit dem allgegenwärtigen Alkohol, ohne dabei nachlässig oder leichtsinnig zu werden. Dabei half mir die regelmäßige Teilnahme an den Ehemaligentreffen, weil ich mir damit immer wieder vor Augen führte, wie meine Situation ist: ich bin ein zufrieden trockener Alkoholiker, einer wie die unzähligen ehemaligen und aktuellen Klinikpatienten (ich benutze jetzt mal diesen Ausdruck, liest sich leichter als die obige Bezeichnung). Natürlich mit einigen Jahren Erfahrung mit der Abstinenz, im Grunde aber keinen Deut anders als jeder andere Abhängige. Heißt auch, dass ich ebenso schnell wie ein frisch Entlassener wieder dort landen kann, wo ich vor Furth im Wald gewesen bin: an der Flasche, in der nassen Sucht. Das wollte und will ich unter allen Umständen vermeiden und deshalb war und ist es für mich nach wie vor ungeheuer wichtig, mir das regelmäßig ganz bewusst zu machen. Ja, auch - und gerade - nach so langer Zeit, wo mancher vielleicht doch meint, es "endgültig geschafft" zu haben und es nicht mehr so genau nehmen zu müssen. Es kann immer der Anfang vom Ende sein, dessen müssen wir uns immer bewusst sein.
Zusammen mit meiner Frau, die ich 2007 geheiratet habe, haben wir uns vieles erarbeitet und ermöglicht. Wir haben intensiv gelebt, sind von Landshut in den Chiemgau gezogen, weil es uns dort so sehr gefällt und wir alle Möglichkeiten direkt vor der Haustüre haben: wandern, bergsteigen, Skifahren, baden im Chiemsee und natürlich Motorradfahren, unsere große Leidenschaft. Es hätte besser kaum sein können....
Im April 2020 erhielt meine Frau die Diagnose Eierstockkrebs. Ein Jahr lang kämpften wir dagegen an, mit vereinten Kräften, mit allen Mitteln - und waren letztlich nur zweiter Sieger. Am 31. März 2021 ist mein Schatz friedlich eingeschlafen und mit ihrer Harley in den Sonnenuntergang gefahren.
Dieses Jahr des Kämpfens, des Hoffen und Bangens, der Teilerfolge und bitteren Rückschläge, aber auch jetzt die Zeit nach ihrem Tod konnte ich nur so gut und unbeschadet durchstehen, weil ich gewappnet war, um mit all diesen Belastungen halbwegs rational umzugehen. Das hatte alles nichts mit meiner Abhängigkeit zu tun, dennoch wäre ich ohne meine Erfahrungen im Umgang mit schwierigen Situationen sicher nicht so gut durch diese harte Zeit gekommen.
Diese Erkenntnis formte sich langsam mit den Jahren und mir wird immer klarer, welch unschätzbar große Chance mir der Aufenthalt in Furth im Wald geboten hat. Ich habe diese Chance aktiv wahrgenommen, mich für mich selber engagiert und es zahlt sich immer wieder in den verschiedensten Lebenslagen aus.
Es lohnt sich also, die Gelegenheit zu ergreifen, sein Leben wieder selbst in die Hand zu bekommen und was Gutes draus zu machen. Es ist ein langer, oft mühsamer Weg, aber jeder Weg beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt.
Ich wünsche allen einen guten Erfolg für ein zufriedenes Leben ohne Sucht.
Herzliche Grüße
W. Hundhammer
Foto: Lina Kivaka von Pexels
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